Aus den zahlreichen Ideen in meinem Kopf habe ich mich entschieden, die Anfangsszene als erste zu schreiben. Sie war nicht die erste in meinem Kopf, aber das ist unerheblich.
Es sind 760 Wörter, also bisher nur ein kleiner Happen. Es kann sein, dass einige Begriffe noch zu neuzeitlich sind. Hier müsste ich bei Gelegenheit nochmal genauer recherchieren, welche Begriffe in dem Zeitraum typisch sind.
Ich habe mich entschieden, die englischen Titel und Ränge zu verwenden, während die Figuren sich siezen. Dies ist in meinen Augen die schönste Variante, um das Englisch des 19. Jahrhunderts einzufangen. Gerne höre ich dazu aber noch weitere Stimmen.
Bis auf die Rechtschreibung habe ich am Text noch nichts weiter überprüft oder überarbeitet.
Und hier kommt endlich der Text.
Der Aufbruch
Kurz vor Sonnenaufgang ist die Nacht am dunkelsten.
Zumindest war dies die Aussage, die Captain Pempleton immer wieder gehört hatte. Seiner Erfahrung nach war die Nacht, vor allem eine mondlose Nacht wie diese, grundsätzlich verflucht dunkel. Dagegen halfen weder die flackernden Öllampen noch die Tatsache, dass die Kaserne mit zusätzlichen Gaslampen bestückt war. Rund um den Exerzierplatz warfen die Mauern und Säulen der umliegenden Gebäude diffuse Schatten, die düstere Ecken bildeten. In so einer stand der Captain, während er das geschäftige Treiben auf dem mäßig ausgeleuchteten Platz beobachtete. Immer wieder tauchten aus den Schatten Rotröcke auf, die sich zu den Männern auf dem Platz gesellten. Sie standen in lockeren Grüppchen zusammen und unterhielten sich oder zeigten sich gegenseitig kleinere Gegenstände. Vermutlich waren es Fotografien ihrer Familien oder neue Werkzeuge für den Dienst. Sie hatten ein gutes Jahr in der Heimat verbringen können, viele seiner Männer waren erneut Väter geworden. Für Außenstehende mochte das Treiben wenig militärisch wirken, doch Pempletons Männer waren gut trainiert. Sobald er selbst aus dem Schatten auf den Platz trat, würden sie akkurat in ihren Platoons bereitstehen. Er klemmte sich seinen Hut unter den Arm, um auf die Taschenuhr sehen zu können. Es war noch Zeit.
Für den Geschmack des Captains war es eine Spur zu früh, doch über die Auslaufzeit entschieden der Kapitän des Schiffes und die Flut, nicht er. Geschickt verdeckte er ein Gähnen, obwohl ihn hier sowieso niemand sah. Nach all den Jahren des Dienstes hatte er sich weder an frühes Aufstehen noch an Seereisen gewöhnen können. Die vor ihm Liegende würde wieder besonders lang werden.
»…düstere Gedanken?«
Pempleton zuckte ob der plötzlichen Stimme zusammen und drehte sich in Richtung des Sprechers. »Bei Gott«, raunte er als Antwort. Im Schatten konnte er nur grob die Züge seines Gegenübers erkennen, erkannte die Stimme jedoch sofort. »Chaplain, schleichen Sie sich doch verdammt noch mal nicht so an.«
»Hmm.« Der Mann trat etwas näher und hob eine Augenbraue, ignorierte den Fluch aber. »Ich klopfte an den Türrahmen neben Ihnen und sagte ›Guten Morgen, Captain, warum stehen Sie im Schatten? Haben Sie düstere Gedanken?‹ In meinen Augen ist das kein Anschleichen.«
Chaplain Graham war einer der wenigen, die von Pempletons Abneigung gegenüber Schiffen wussten. Er ging nicht weiter auf die Gedanken ein und blickte stattdessen selbst schweigend auf die sich versammelnden Männer.
»Ich beobachte meine Einheit«, erklärte der Captain dennoch ohne Grund.
»Ja, wie immer. Und wie immer stehen Sie abseits.«
»Die Männer sind nervös, wenn ich in ihrer Nähe bin.«
Graham schaute auf. »Ist das so? Doyle scheint es nicht zu stören.«
Lieutenant Doyle stand bei seinem Platoon und lauschte der Erzählung eines der Soldaten.
Pempleton winkte ab. »Das ist was anderes, Doyle war einer von ihnen und der Stallgeruch klebt noch an ihm.« Er blickte nun selbst auf den Chaplain herunter, der allerdings wieder auf den Platz schaute. Ein Gespräch dieser Art führten sie seit Jahren vor dem Auslaufen. Es war für Pempleton gleichermaßen ein willkommenes Ritual und eine verhasste Erinnerung an seine Unzulänglichkeiten. Den zweiten Teil hatte er dem Chaplain nie gesagt. Vielleicht sollte er es ihm irgendwann einmal sagen.
Ohne den Blick abzuwenden, nickte Graham in die Richtung eines Soldaten. »Sterling ist Ostern Vater geworden. Ich habe das Kind getauft.«
»Freut mich.« Pempleton zog die Brauen zusammen und überschlug im Kopf die Monate. »Moment mal, Ostern? Aber da waren wir doch gerade mal … das Kind kann unmöglich von ihm sein. Oder ist es etwa ein Frühchen?«
Graham zuckte mit den Schultern. »Ich bin Priester und kein Arzt. Aber das Kind sah normalgroß aus für mich. Vielleicht sagen Sie es ihm nicht? Lieutenant Sterling wirkte sehr stolz und ist nicht gerade der schnellste Kopf.«
Der Geistliche hatte damit nicht Unrecht. Der junge Lieutenant war der Sohn irgendeines Emporkömmlings und hatte bisher weder durch militärisches Geschick noch durch geistige Finesse auffallen können. In vielen Fällen war Pempleton bereits erstaunt, dass der Mann es überhaupt in die Uniform schaffte. Er vermutete allerdings in erster Linie die Fähigkeiten des Adjutanten dahinter. Das bekam man eben dafür, wenn Offizierspatente an jeden verkauft wurden, der genug Geld Pfund zusammenkratzen konnte. Am Ende war er zwar auch Pempletons Problem, aber dies konnte er jederzeit an den Major der Einheit weitergeben.
Auf der anderen Seite des Platzes öffnete sich die Tür zum Gebäude.
»Was für ein Zufall!«, entfuhr es Pempleton. »Graham, sehen Sie? Dort kommt unser Major, ich habe gerade an ihn gedacht.« Der Captain setzte seinen Hut auf. »Wir sollten ihn auf dem Platz treffen.«
»Ich bin direkt bei Ihnen.«
Gemeinsam schritten sie aus dem Schatten, um ihren Vorgesetzten zu treffen.